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Virulente Information in der Morgendämmerung der Informationsgesellschaft

Kaum war der Rauch in Oklahoma verzogen schallten schon die "lnsiderinformationen" aus allen Kanälen, dass die Anleitung zum Bau der Bombe "aus dem Internet" gekommen wäre. Da der schnell verhaftete Attentäter (Wieso lebt der eigentlich noch? Nach der Kennedy-Theorie müsste er schon lange von einem Verrückten umgelegt worden sein!) zu den lange unterschätzten rechten Milizen gehört, war natürlich sofort klar, daß die sich über das Internet vernetzen. Genervt von soviel öffentlichem Interesse beschlossen nun die Nutzer von misc.activism.militia ihre Interna im Schutze von PGP abzuwickeln, was natürlich die Verschlüsselungsparanoia ganz nett beflügelte. Nachdem die systemimmanenten Gefährdungen elektronischer Netze sich immer deutlicher hervortun, schicken besorgte Eltern Petitionen an den Senat, man möge doch endlich "etwas tun". Am Besten das ganze Teufelszeug verbieten, eine Zensurbehörde einrichten und automatische Strafdämonen installieren, die bei Auftauchen bestimmter Inhalte sofort ein Sondereinsatzkommando mit einer einstweiligen Erschießung zum Absender schicken. Eine schnellere Fortbewegung als mit Kutschen war ja schliesslich bei der Einführung der Eisenbahnen in England auch als absolut tödlich diagnostiziert worden. Offenbar ist die tiefere Bedeutung des Begriffs "lnformationsgesellschaft" noch nicht bis in die Hirne der meisten Journalisten und ihrer Rezipienten vorgedrungen. Wenn sich ein deutscher CDU-Politiker hinstellt und absondert, da sich in "Voice- und Mailboxen" sowieso nur Extremisten herumtreiben, müsse man im Zuge der Mobilfunk-Abhörgesetze gleich noch was gegen derartige Kommunikation unternehmen, zeigt nur zu deutlich, welches Maß an modernem Analphabetentum unter Bildungsbürgern anzutreffen ist. In vorauseilendem Gehorsam bilden sich Initiativen für eine Freiwillige Selbstkontrolle im Internet, (" Guten Tag; ich bin Ihr neuer Datenblockwart! Ihren Mailberechtigungsnachweis bitte!") und ähnlicher Schwachsinn. Offenbar sind auch Nutzer von Datennetzen nicht gegen Hirnausfall gewappnet. Daß es Informationen gibt, die entsprechend entschlossenen Leuten die Ausführung von illegalen Akten erleichtern, ist allen bekannt, daß es diese Informationen immer noch wesentlich schneller, qualifizierter und unauffälliger in der nächstgelegenen Uni-Bibliothek gibt, zählt wohl nicht zur Allgemeinbildung. Die technische Entwicklung macht vor keinem Bereich der Gesellschaft halt - auch vor dem Terrorismus und der Kriminaltät nicht. Das Internet wegen der Benutzung durch Bösebolde verbieten zu wollen , ist in etwa so logisch wie das Verbot von Messer und Gabel - Hitler, Stalin und PolPot haben schliesslich auch mit Besteck gegessen. In der nächsten Zeit sind noch einige Attacken dieser Art auf die Freiheit der Informationsverbreitung zu erwarten. Bis sich die Erkenntnis durchsetzt, daß Kommunikation nicht zu verbieten, Verschlüsselung nicht zu reglementieren und wirklich digitale Information nicht zu vernichten ist, wird es wohl noch etwas Zeit brauchen. Die Erkenntniss, daß die gesellschaftlichen Bedingungen unter denen aus zusammenkopierten Chemiebuch-Informationen Bomben werden, das Problem sind, nicht aber das Papier auf das sie kopiert werden, wird sich nicht zuletzt durch die durchschlagende Dynamik der technischen Entwicklung verbreiten. Sollten sich die "Demokratien" jedoch zu einer Art russischen Lösung (Kryptografieverbot, siehe Meldung in dieser Ausgabe) entschliessen, ist der Weg in eine halboffene Dikatur nicht mehr weit.
anonymous

 

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